Die Händel-Aufzeichnung im Pirnitzer Musikinventar identifiziert

Schloß Pirnitz (Brtnice).

Seit einigen Jahrzehnten erweckt das sog. Pirnitzer Musikinventar (“Inventario per la musica”) das berechtigte Interesse der Musikhistoriker. In dem erhaltenen Zustand enthält es 1059 thematische Aufzeichnungen mit Noteninzipiten. Diese Aufzeichnungen beziehen sich zu Kompositionen von 130 Autoren. Die eigentlichen Notenmaterialien sind leider nicht erhalten geblieben – Zeugnis von ihnen findet man nur in den einzelnen Eintragungen des Inventars.

Das zwischen 1752 und 1769 angeschaffte Inventar dokumentiert die Musikaliensammlung auf Schloß Pirnitz (Brtnice) bei Iglau (Jihlava) in Südwestmähren in der Zeit, als der musikbegeisterte Thomas Vinciguerra Graf von Collalto und San Salvatore (1710–1769) die hiesige Herrschaft besaß. Wahrscheinlich auf seine Veranlassung hat Silvestr Weltz (1712– 1777), seit 1759 Collaltos “Director musicae”, das Inventar zusammengestellt und eigenhändig geschrieben. Die seltene Handschrift kam im Jahre 1921 bei einem Pirnitzer Trödelkrämer ans Licht. Von ihm kaufte sie der berühmte, aus Pirnitz gebürtige Architekt und Entwerfer Josef Hoffmann (1870–1956); er erkannte die Einzigartigkeit des Dokumentes und übergab es in das Pirnitzer Gemeindearchiv. Heute ist der Band in der Abteilung für Musikgeschichte des Mährischen Landesmuseums in Brünn (Brno) aufbewahrt [Signatur: G 84]. Systematisch durchforscht und sachverständig eingeschätzt wurde er von Dr. Theodora Straková (geb. 1915) [† 2010], einer führenden tschechischen Musikforscherin.

Auf Seite 17 [27 gemäß der neuen Bleistiftpaginierung] des Inventars befindet sich unter dem Namen “Hendl” die Aufzeichnung einer als “Sinfonia à tre” betitelten Komposition. Am 27. August 2001 gelang es Pavel Polka, dem Vorsitzenden der Tschechischen Händel-Gesellschaft, die Komposition zu identifizieren: nach seiner Feststellung bezeichnet die Aufzeichnung in Wirklichkeit die Triosonate Nr. 5b g-Moll für zwei Violinen, Baß und Orgel, op. 2, HWV 390b, von Georg Friedrich Händel (Adagio – Allegro – Largo – Allegro).

Die Händel-Aufzeichnung im Pirnitzer Musikinventar.

Die erwähnte Komposition entstand um 1730. Sie stellt die zweite Fassung von Händels Triosonate Nr. 5a g-Moll für zwei Violinen und Basso continuo, op. 2, HWV 390a (aus der Zeit um 1718), dar. Erstmals wurde sie von Friedrich Chrysander (1826–1901), im Rahmen seiner epochalen Händel-Gesamtausgabe (Band 48: Sonata VI), herausgegeben. Zu Händels Lebzeiten war sie in Abschriften sehr verbreitet, womit sich erklären läßt, wie sie nach Pirnitz gelangte. Als eine Variante mit obligatem Orgelbaß, die das Licht der Welt offensichtlich ohne eine direkte Teilnahme des Autors erblickte, verdient sie besondere Aufmerksamkeit – auf eine interessante Weise belegt sie die damalige Praxis, als die Originalwerke den unterschiedlichen Möglichkeiten oder Ansprüchen angepaßt wurden.

Quellennachweis